Wir sind erschüttert über das unfassbare Leid der Opfer des Erdbebens im Südosten der Türkei und in Nordwest-Syrien. Wir fühlen mit den Angehörigen der Toten und Verletzten in all ihrer Verzweiflung. Zu ihnen gehören auch unsere Nachbar:innen, Kolleg:innen, Freund:innen.
Millionen von Menschen in den vom Erdbeben betroffenen Regionen stehen vor den Trümmerhaufen ihrer Existenz und müssen unter erbärmlichen Umständen den grausamen Verlust der Familie, ihrer Wohnungen und ihres gesamten Lebensumfelds überstehen. Viele schicken Hilfe aus dem Ausland oder machen sich auf in die Türkei oder nach Syrien, um ihren Verwandten beizustehen und gemeinsam zu trauern. Andere versuchen, ihre Angehörigen aus dem Katastrophengebiet zu sich zu holen und vor der Verelendung zu retten.
Angesichts der menschlichen Ohnmacht gegenüber einer so verheerenden Naturkatastrophe wirken die Worte der Solidarität und Anteilnahme unzureichend und hilflos.
Es mischen sich aber auch Wut und Empörung unter die Trauer, denn in den Folgen dieses großen Unglücks sind auch menschengemachte Missverhältnisse erkennbar: Gewachsene Armut, Unterversorgung und politische Verfolgung, ungleiche Verteilung von Hilfsgütern, Korruption und Verantwortungslosigkeit in der Bauwirtschaft und den zuständigen Behörden.
Die durch das Erdbeben eingestürzten Häuser, Stadtviertel, Verkehrswege, die vielen Toten und die in Kälte und Not ausharrenden Menschen erinnern uns auch an die Schuttberge, die Zerstörungen und das tausendfache Sterben in den Kriegen unserer Tage. Die Bilder der Ruinen in den Städten der von Russland angegriffenen Ukraine verknüpfen sich jetzt mit den Verwüstungen in den Straßen von Adana, Gaziantep, Iskenderun, Antakya oder Aleppo. Die strukturelle Gewalt, die sich unweigerlich in den sozialen Folgen des Erdbebens zeigt, steht auch im Zusammenhang mit militärischen Konflikten und nationalen wie internationalen Politiken der Vernachlässigung und Unterdrückung.
Gegen das Schicksalhafte der Naturgewalt haben wir Menschen nicht viel auszurichten, und es bleiben nur der Schrecken, die Trauer, die Demut und das Mitgefühl.
Aber wir müssen uns für gerechte soziale Verhältnisse einsetzen, in denen Korruption, Armut, Gewalt und Kriege geächtet werden.
Wir wünschen allen in dieser Zeit schwer leidenden Menschen viel Kraft, den Schmerz zu verarbeiten, und die nötigen politischen Bedingungen, sich ein neues Leben in Sicherheit aufzubauen.
Jetzt ist daher nicht nur schnelle und umfassende internationale Nothilfe für alle vom Erdbeben betroffenen Regionen in der Türkei und Syrien gefragt, sondern auch eine humanitäre Aufnahmepolitik in Deutschland und anderen europäischen Ländern für Menschen, die alles verloren haben. Wir schließen uns der Forderung von Pro Asyl an:
Deutschland muss allen Menschen, unabhängig von Pass und Nationalität und ohne bürokratische Visumsverfahren ermöglichen, ihre Angehörigen aus dem Katastrophengebiet hier in Sicherheit zu bringen. Solidarität ist unteilbar.